Hedwig lebt, wie ich, in Fichtenberg

Das erste Mal kam sie nach dem Adventskranzbinden zu uns. Zu dieser Zeit war sie Mesnerin in der Kirche, die neben der Alten Schule, meinem damals ganz neuen Atelier und Showroom, steht. Sie hatte gesehen, dass jetzt Licht im Schulhaus brennt, dort Leben eingezogen ist und machte sich mit ihrer Bekannten auf den Weg. Meine Mutter empfing sie auf ihre unnachahmliche Weise und sie war überrascht über die Freundlichkeit und Offenheit mit der man ihnen begegnete.

gelbe Jacke
Pullover und Hut
Pullover
"...diese Mode gibt mir immer
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Man konnte etwas anprobieren, schöne Kleider, das alles machte sie neugierig auf mehr. Ihr nächster Besuch war zusammen mit ihrem Mann und wir fertigten eine Umstandshose für sie an, sie war mit ihrem ersten Sohn schwanger. Und eben diese Hose wurde gleich zu einer lustigen Geschichte:

Nachdem sie sie während der gesamten Schwangerschaft getragen hatte, brachte sie selbige zu uns ins Atelier, um sie kleiner machen zu lassen, was natürlich erledigt wurde. Wie es der Zufall wollte, kam eine andere Kundin ins Atelier, ich war nicht da und meine Mutter verkaufte ihr die geänderte Hose ohne zu wissen, dass diese Hedwigs Eigentum war. Sie passte der Kundin perfekt und diese verliess uns glücklich. In den nächsten Tagen kam dann Hedwig, um ihre Hose abzuholen - meine Mutter war aus dem Häuschen, wie konnte ihr das nur passieren! Wir hatten jedoch viel Spass und Hedwig bekam eine neue Hose angefertigt. So waren letztendlich alle zufrieden und ich hatte in Hedwig eine humorvolle, aufgeschlossene Kundin und Freundin gefunden.

,,Wegen eines Stücks Stoff regt man sich doch nicht auf,"das waren wohl meine Worte, wie Hedwig sich genau erinnert. Und das bezieht sich nicht nur auf solche unerwarteten Begebenheiten, sondern auch darauf, sich Stress zu machen, was ziehe ich an,wem gefalle ich damit. Fragen, die jeder Frau bekannt sind. Es war und ist die Einladung, Freude an der Mode und damit an sich selbst zu haben.

Hedwig besuche ich an einem regnerischen November-tag in ihrem hübschen und gemütlich eingerichteten Haus mit Blick auf die Fichtenberger Hügel.

Beschreibe dich selbst, ist wie immer die erste Frage.

,,Ich bin ein Nesthäkchen. Alle meine Geschwister sind einiges älter als ich. So wurde ich geliebt und verwöhnt, was mir in meinem Leben eine positive Grundstimmung gibt. Meine Kindheit verbrachte ich auf der Schwäbischen Alb. Ich bin eine Geniesserin, eine Schönheitsuchende, eine Ästhetin.

Luxus ist mir wichtig, dann bin ich auch großzügig,
das habe ich von meinem Vater. Gerne arbeite
ich mit Menschen, früher auch mit Kindern, jetzt bin ich einem Seniorenhotel tätig.

Meine kreative Seite entwickelte sich während meiner Mesnerinnen-Zeit. Über Kirchenschmuck und Dekoration habe ich ein Buch veröffentlicht. Zudem arbeite ich als Kirchenpädagogin, mache Führungen und Seminare, immer in Voelske's."

Was bedeutet es für dich, diese Mode zu tragen?:

,,Diese Mode gibt mir immer das Gefühl, alles an mir ist richtig. Das war nicht selbstverständlich, ich bin traumatisiert durch den Kauf meines Konfirmations-kleides.Wir fuhren mit dem Bus nach Ulm, um dort für mich mein erstes, festliches Kleid zu erwerben.

Das Kleid, das mir gefallen hätte, gab es natürlich in meiner Grösse nicht, wie die Verkäuferin mit einem abschätzenden Blick über mich und meine Figur, feststellte. Das war schrecklich für mich. Immerhin gab es noch Lackschuhe, aber das war nur ein schwacher Trost.

Die Mode, die ich jetzt trage, gibt es für mich,
das empfinde ich als befreiend. Ich muss mir
keine Gedanken machen, ich weiß, ich bin immer schön angezogen."

Was es bedeutet es für deine Umwelt,
so gekleidet zu sein?:

,,Einer Frau in dieser Kleidung wird man immer Achtung entgegenbringen-und das ist wichtig für mich. Diese Mode gibt mir einen Status. Ich werde angesprochen darauf, aber stets freundlich und neugierig, meine Person wird dadurch interessant und kann sich zeigen."

Gibt es eine besondere Geschichte,die mit dieser Mode in Zusammenhang steht?:

,,Es hat mir immer grosse Freude gemacht, wenn ich an einer Modenschau teilnehmen durfte. Das war ein besonderes Erlebnis. Ich bekam eine Ankleidefrau zugeteilt, die mich während der Schau auf die Auftritte vorbereitete - das war phantastisch. Von dir, Susann, gab es nie eine Kritik mir. So, wie ich es machte, war es richtig. Das stärkte mein Zutrauen zu mir."

Hedwig erwähnt noch eine besondere Modenschau,an die ich mich auch noch sehr gut erinnere:

In unserem Nachbarstädtchen, gab es ein kleines, altes Kino, das wir ab und an für eine Modenschau angemietet hatten. Wir waren jedes Mal absolut ausverkauft! Der Besitzer dieses Kinos hatte eine Schwäche für meine schöne Mutter, die bei jeder Modenschau dabei war.

Zu dieser Zeit hatten wir in dem Städtchen noch einen Laden mit französischer Kindermode, direkt neben dem Kino, den meine Mutter betrieb. Er brachte ihr des öfteren, Kavalier der alten Schule, ein Sträusschen, eine Schachtel Pralinen, ein Eis... vorbei, kurz, er machte seine Aufwartung, wie es so schön heißt. Das inspirierte mich dazu, den Abschluss einer Modenschau, der traditionell die Braut ist, einmal anders zu gestalten.

Das letzte Bild sollte eine Goldene Hochzeit sein mit Gästen aus Wien, meine Mutter war Wienerin, soviel zur Erklärung. Das Brautpaar sollten der Kinobesitzer und meine Mutter bilden, die Gäste trugen jeweils etwas Goldenes. Der Kavalier liess es sich nicht nehmen, an diesem Abend ein Sträusschen für meine Mutter und für sich eine Ansteckblume für den Anzug zu besorgen und die beiden sahen sehr überzeugend aus. Meine Mutter strahlte ob der Komplimente, der Kavalier war glücklich, sie eine Weile im Arm zu halten. Der Auftritt, das Schlussbild, kam. Hedwig war auch dabei und erinnert sich ebenso wie ich.

Das Brautpaar betrat den Laufsteg, der vor dem roten Vorhang, der die Leinwand bedeckte, aufgebaut war, dahinter die Hochzeitsgesellschaft zu den Klängen von Wiener Blut.

Es war totenstill im Saal, niemand klatschte.

Mir wurde beinahe schlecht, was war falsch jetzt? Doch dann sah ich es: Die meisten Gäste weinten.

Dieses überraschende Bild rührte sie zutiefst.

Dann kam der Applaus - und was für einer!

Auf die Goldene Hochzeit im Kino werde ich heute noch angesprochen, und auch Hedwig und ich haben uns heute wieder gerne daran erinnert.

 

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